Zigarrenfabrik Anselm Kahn

(Foto: Archiv Vogt)

1909 wurde der Bau an der Achtungstraße fertig – Ein Teil der expandierenden Zigarrenfabriken von Anselm Kahn. Im Jahr 1900 hatte er, unterstützt von seinen Brüdern, die Fabrik gegründet.z3

Ein Cousin und Namensvetter baute eine weitere Zigarrenfabrik ganz in der Nähe am Kaiser-Friedrichplatz, der Cousin wurde ebenfalls Anselm Kahn genannt.

Zigarrenfabriken von Anselm Kahn auf einem Briefkopf von 1915, StA Hn

Die Firma in der Achtungstraße wuchs über die Jahre mit hunderten Angestellten und 750 Millionen Zigarren in der Jahresproduktion. Anselm Kahn war zeitweise im Vorstand der Industrie- und Handelskammer sowie Vorsteher der Synagoge.

 „Einen legendären Ruf als Tabakkenner hatte Anselm Kahn, der bei den Messen in Amsterdam stets von einer ganzen Meute von Einkäufern verfolgt wurde. Sobald er an einem Stand auch nur anerkennend mit dem Kopf nickte, konnte der Produzent sicher sein, restlos alles verkaufen zu können.“ (Zitat eines Mitarbeiters z8)

Anselm Kahn mit Familie (Foto: Archiv Kurz)

Nach 1933 wurden die jüdischen Mitbürger immer mehr bedrängt. Anselm Kahn flüchtete 1938 nach Holland, Kuba und schließlich USA. Seine Zigarrenfabrik wurde ‚arisiert‘ und in Helbruna Zigarren umbenannt.

Foto: Archiv Vogt

Bruder Julius Kahn wohnte in der Moltkestraße 10. Hier ein Querschnitt:

StA Hn CC BY SA 3.0

In der Reichskristallnacht brachen Nazis gewaltsam ins Haus von Julius Kahn ein. „Kurz zuvor hatte er ein neues Musikzimmer eingerichtet. In der Kristallnacht kam der Inhaber der Schreinerei und schlug alles zusammen.“ (Zitat Uwe Jacobi, 1984 z4)

Der dritte Bruder Josef Kahn wohnte in der Bruckmannstraße 28. Hellmut Riegraf vom Heilbronner Widerstand im III. Reich berichtet in einem Interview 1985 von der Arisierung dieses Hauses:

aus: „Erinnerungen an das andere Heilbronn“, Dokumentarfilm 1985, Mediengruppe Schrägspur, z2

Josef Kahn selbst berichtete: „In der Nacht vom 9. auf 10. November 1938 erschien in meiner Wohnung ein sogenanntes Rollkommando der Nazipartei […] und zerstörte einen Teil meiner Wohnungseinrichtung, wie zum Beispiel Bilder, Möbel, Porzellan, eine Standuhr usw. Ich selbst war nicht zugegen, da ich verhaftet war und nach Dachau transportiert wurde.“z7
Josef Kahn kam zwei Wochen später unter der Auflage, Deutschland zu verlassen, frei. Er und seine Familie wanderten aus, ihr Weg führte über Holland in die USA. Der NSDAP-Kreisleiter Drauz zog darauf in sein Haus in Heilbronn ein.

2020 veröffentlichte Zeitsprünge Heilbronn eine Geschichte mit der New York Times. Kurz darauf meldete sich Harold Kahn aus San Francisco, ein Nachfahre der Brüder Kahn, Sohn von Josef Kahn. Es war spannend, mehr über die weitere Familiengeschichte zu erfahren. Sein Vater Otto Kahn konnte 1935 noch in der Bismarckstraße Heilbronn das Abitur abschließen, bevor es für jüdische Schüler verboten war, ging dann zum Studium nach England, wanderte 1937 in die USA aus. Sein Großvater Josef Kahn kam 1938 nach der Pogromnacht ins KZ Dachau, konnte sich unter der Aufgabe seines Vermögens freikaufen und in die USA nachfolgen. Als 1941 die USA in den Krieg eintrat, meldete sich Otto Kahn freiwillig. Juni 1944 war er am D-Day in der Landung in der Normandie dabei. Seine beiden Cousins Stephan und Herbert kamen mit der Spezialeinheit der Ritchie-Boys, die später als Dolmetscher die Verhöre mit Göring und anderen Kriegsverbrechern durchführten und als Übersetzer im Nürnberger Tribunal dienten. Ab 1941 hatte die US-Armee für die psychologische Kriegsführung deutsche Emigranten gesucht, die die Denkweise der deutschen Soldaten verstehen, mit ihnen kommunizieren konnten. Stephan Kahn, der Sohn von Anselm Kahn, hatte bis 1935 ganz exemplarisch die NS-Zeit an einer deutschen Schule in Heilbronn erlebt, der Robert-Mayer-Oberschule, geführt vom gefürchteten NS-Direktor und Obersturmführer Geiger. Stefan Kahn kannte die Denkweise des Regimes.

Ein Foto von 1933 zeigt seine Klasse (alle mit ernsten Blicken, aber ein letztes Mal noch ganz in zivil), ein zweites Foto entstand 12 Jahre später: Stefan, Otto und Herbert Kahn kehrten als Befreier zurück, nach Ende des Krieges,  gelöst und optimistisch.

Links Otto und Stefan Kahn 1933 im Klassenfoto, rechts Stefan, Otto und Herbert nach 1945 in  Deutschland (Quelle: Harold Kahn, Kolorierung jp)

Norbert Jung hat die Geschichte der Familie Kahn und der Zigarrenfabrik intensiver erforscht. Sein lesenswertes Buch „Von Kahn zu Kult: unsere Nachbarin – die Zigarre“ erschien 2009. Das Buch kann hier mit freundlicher Genehmigung von Norbert Jung als PDF abgerufen werden.

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Quellen des Kapitels Zigarre:

z1: Schriftlicher Bericht von Josef Kahn vom 19. September 1950. Staatsarchiv Ludwigsburg. EL 350 I, ES 21880.

z2: Riegraf über die Arisierung der Bruckmannstraße 28:  “Erinnerungen an das andere Heilbronn”, Dokumentarfilm 1985 von der Gruppe Schrägspur Heidelberg in Kooperation mit der GEW Heilbronn, verantwortlich Christian Müller-Gebhard. Interviews mit Hellmut Riegraf und Walter Vielhauer. 4 Stunden Rohmaterial zu diesem Film konnte für die Recherche gesichtet werden, zur Verfügung gestellt vom Produzenten Christian Müller-Gebhard.

z3: Firmengründer Anselm Kahn, Gesellschafter waren die Brüder Julius Kahn und Josef Kahn

z4: Uwe Jacobi in der Heilbronner Stimme vom 8. Oktober 1984, gefunden in z5

z5: Norbert Jung, „Von Kahn zu Kult: unsere Nachbarin – die Zigarre“, 2009. Herausgeber Abendrealschule und Helene-Lange-Realschule Heilbronn

z6: Artikel über die Zigarre auf Wikipedia

z7 Schriftlicher Bericht von Josef Kahn vom 19. September 1950. Staatsarchiv Ludwigsburg. EL 350 I, ES 21880.

z8 das Zitat stammt von Paul Holland, der in den 30er Jahren bei Anselm Kahn im Außendienst beschäftigt war. Das Zitat wurde aus der Publikation von Norbert Jung (z5) entnommen.

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