Walter Vielhauer

Walter Vielhauer (1909 bis 1986) und Weggefährten des Widerstandes

Er lieferte der Widerstandsgruppe um Karl und Sascha Kaiser und Hellmut Riegraf 1933 Flugblätter und Zeitschriften (Transportkolonne Otto): Walter Vielhauer war eine Legende des Heilbronner Widerstands, war fast 12 Jahre in Haft und KZ und nach 1945 einer der ersten Bürgermeister der Stadt unter OB Beutinger. Er blieb bis zum Lebensende in Heilbronn engagiert, als Kommunist jedoch oft auch ausgegrenzt.

Vielhauer kam 1914 als Kind einfacher Verhältnisse nach Heilbronn. Er wuchs im Arbeiterviertel der Nordstadt in der Dammstraße auf. Nach der Volksschule begann er als Silberschmied bei Silberwaren Bruckmann, dessen Belegschaft stark politisch engagiert war. Auch im Dritten Reich war der Widerstand innerhalb der Belegschaft von Bruckmann besonders stark. 

Vielhauer wuchs in den 20er Jahren in einer offenen, liberalen Stadt auf. Er spielte auch Theater, so die Hauptrolle in Büchners „Leonce und Lena“ auf der Waldheide mit der Anarcho-Syndikalistin Martha Woll als Lena.v20

Vielhauer vor 1933 (v1)

Die Weltwirtschaftskrise ab 1929 erschütterte auch Heilbronn, die Nationalisten wurden immer aggressiver.

Vielhauer erlebte die Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30/31. Januar 1933 in Berlin und berichtet 1985 im Interview davon:

Walter Vielhauer erlebte als junger Idealist mit 24 Jahren wie die Demokratie unterging – und geriet schon kurz nach dem Reichstagsbrand 1933 in Schutzhaft. Nach vorübergehender Freilassung tauchte er unter und wurde Kurier des Widerstandes, der mit der ‚Transportkolonne Otto‘ aus der Schweiz illegale Schriften in rund 30 Kreise in Südwestdeutschland verteilte.

Vielhauer brachte Material, wie die AIZ nach Heilbronn.

Unten: Ausgaben aus dem Sommer 1933, kurz bevor er verhaftet wurde. Sascha Kaiser war aus ihrer Berliner Zeit mit John Heartfield befreundet und schätzte seine Collagen sehr.

Wer die Wahrheit so direkt aussprach, geriet schnell selbst in die Hände der Henker. Vielhauer wurde bereits Herbst 1933 erneut verhaftet und verschwand bis Kriegsende in Gefangenschaft und KZ. Schon im Herbst 1933 wurde er so schwer gefoltert, dass bis zu seinem Lebensende eine Gesichtshälfte gelähmt blieb.

Die meisten aus der ‚Transportkolonne Otto‘ wurden verhaftet. So auch Edo Leitner aus dem Kreis Tübingen, der ebenfalls nach Buchenwald kam und mit Vielhauer 1945 an der Befreiung des KZ mitwirkte.

Edo Leitner war Künstler, Grafiker, Freigeist und bemalte Häuser und Güterwaggons mit Sprüchen gegen Hitler, bis er verhaftet wurde.

Edo Leitner als junger Künstler um 1930 und in den 80er Jahren auf einer Anti-Atomwaffendemo (v30)

Die Nazis ließen den 29-jährigen Edo Leitner bei der Verhaftung 1936 alle seine Schriften auf die Straßen werfen und zum Schluss ein Buch von Tucholsky mit Füßen treten, erinnerte er sich: „Deutschland, Deutschland über alles!“

Walter Vielhauer war lange im KZ Dachau, zuletzt mit Edo Leitner und vielen anderen im KZ Buchenwald. Edo Leitner wurde 1939 nach Buchenwald verlegt und dort als Grafiker in der Fotoabteilung des Lagers eingesetzt, was ihm wohl das Leben rettete.

Walter Vielhauer beteiligte sich in Dachau an einer internationalen Zusammenarbeit der Häftlinge, einer Widerstandsgruppe, die entdeckt wurde. Er kam im Juni 1944 mit Karl Wagner nach Buchenwald, wo beide ermordet werden sollten. Die Geschichte wird im Buch „Kapo der Kretiner“ von Hilde Wagner ausführlich beschrieben. Man gab ihnen ihr eigenes Todesurteil in die Hand, um es der SS in Buchenwald zu überbringen. Doch in Buchenwald halfen ihnen die anderen Häftlinge, dem Tod von der Schippe zu springen – allen voran Willi Bleicher, der spätere IG-Metallchef. Karl Wagner wurde „Kapo der Kretiner“ und half den Schwächsten.

Bei einem Bombenangriff auf die Rüstungswerke neben dem KZ (die Häftlinge mussten in Buchenwald u.a. die V2-Raketen bauen) wurde auch ein Archiv der SS mit dem Todesurteil Vielhauers zerstört. Die Kameraden gaben Vielhauer darauf die Häftlingsnummer eines Franzosen, der bei der Bombardierung ums Leben kam und Vielhauer konnte damit im Lager untertauchen.

Vielhauer wurde ein Mitglied im Internationalen Lagerkomitee. Die Gefangenen retteten am Ende vielen das Leben, darunter hunderten Kindern.420 Im Film „Nackt unter Wölfen“ wird ein berühmter Fall geschildert, als ein 3-jähriges jüdisches Kind aus Polen ins Lager kam, dem der sichere Tod bestimmt gewesen wäre. Die Neuverfilmung von 2015 kann man hier in voller Länge sehen. Vielhauer war einer der Männer, der dem Kind unter Lebensgefahr half. Walter Vielhauer war wohl der erste, der die bewegende Geschichte veröffentlichte – bereits 1946 in der Gedenkschrift „Niemals vergessen!“ die hier im Ausschnitt zu lesen ist (Quelle: Stadtarchiv Heilbronn CC BY-SA 3.0):

Erstmals erschienen 1946 in diesem Buch

Stadtarchiv Heilbronn CC BY-SA 3.0

Willi Bleicher war der Mann in der Asservatenkammer, der sich zuerst um das Kind kümmerte, als das Kind und sein Vater mit dem Transport in Dachau ankamen. Nachdem das Kind im ersten Versteck bei Willi Bleicher nicht mehr sicher war, kam es in ein Quarantänelager zu Walter Vielhauer. Das sogenannte ‚kleine Lager‘ wurde auch als Seuchen- und Sterbelager beschrieben und wurde von der SS wegen der Ansteckungsgefahr gemieden. Hier hatte man Vielhauer als Schreiber vermittelt und aus der Schusslinie gebracht. Kurz bevor Willi Bleicher aufflog und in die Hände der Folterknechte geriet, gelang es Bleicher noch, das Kind bei Vielhauer in Sicherheit zu bringen. Dieser berichtete: „[…] so landete eines Tages ein kleiner Kindertopf, ein Kinderbett und andere kleine Utensilien in unserer Schreibstube. Nach dem Abendappell brachte Willi, gut eingepackt, sein Kind zu uns. Er konnte sich kaum trennen von dem eben so lieb gewordenen kleinen Wesen. […] In den nächsten Tagen bauten wir ein geeignetes Versteck für das Kind.“ v10

Das Kind hieß Stefan Jerzy Zweig. Unten das einzige erhaltene Foto des Kindes, das von Edo Leitners Mitarbeiter aus der Fotoabteilung des Lagers, Alfred Stübler, gemacht wurde (beide stammen aus Reutlingen):

Foto Alfred Stübler, Gedenkstätte Buchenwald

Unten: Fotografie von Willi Bleicher 1945 – die Zeit im Lager ist ihm noch anzusehen.  Die Büste von Willi Bleicher, der später IG-Metallchef wurde, schuf der Künstler Klaus Mausner, der in den 70er Jahren Berufsverbot als Kunsterzieher an staatlichen Schulen bekam.

Zum engeren Kreis des Widerstandes im Lager gehörte auch Edo Leitner. Er baute den illegalen Sender im Lager auf und gab später das erste Zeichen zum Ausbruch, der bewaffneten Selbstbefreiung. Walter Vielhauer half, die versteckten Waffen auszugeben.

Edo Leitner kannte ich noch aus meiner Kindheit, ein Freund meiner Familie. Er war immer ein praktisch-kreativer Optimist – seine Strategie zum Überleben.

Edo Leitner – Standbilder aus dem Dokumentarfilm „Edo Leitner“

Edo Leitner arbeitete in der Fotoabteilung des KZ. Er war als gelernter Grafiker dort eingesetzt worden. Er musste unter anderem die medizinischen Experimente und die Selbstmorde fotografieren. Edo Leitner entwickelte einen ungewöhnlichen Mut angesichts des Todes. Er ging in den Todesstreifen und stahl Strom vom elektrischen Zaun für seinen illegalen Sender. Seine Aktionen waren oft mit der Chuzpe eines braven Soldaten Schweijk als ‚offizielles Kommando‘ getarnt. Er war geschickt genug, sich selbst ‚Weisungen‘ zu geben. Ein Dokumentarfilm berichtet heute noch davon. Und er schrieb Gedichte und Galgenlieder im KZ – in der Tradition von Christian Morgenstern:

Ein Zebra, wohlbekannt aus Brehm / stellt uns vor folgendes Problem: / sind eigentlich beim Zebrafell / die Streifen von Natur aus hell / auf dunklem Grunde oder um- / gekehrt vielleicht? Kurzum, / wie sieht wohl Dichterphantasie / das ungestreifte Zebravieh? / Der Dichter schweigt hier, außerdem / die Wissenschaft und Herr Brehm.

nach 11.4.1945, Fotograf G.R. Algoet, Archiv Gedenkstätte Buchenwald, 2.v.R. Janek Szlajtsztajn

Oben: Das Kind Janek Szlajtsztaijn gehörte zu den jüngsten Gefangenen in Buchenwald.

Humor bis zur Groteske als Überlebenshilfe. Das scheint auch bei Vielhauer auf. Im Dokumentarfilm berichtet er von einer bizarren Groteske aus dem wirklichen Leben im KZ:

Walter Vielhauer wachte eines Tages aus der Bewusstlosigkeit auf und fand sich in einem Berg aus Leichen wieder, Lieferung für das Krematorium. Er kroch hervor auf allen Vieren, hinüber zum Schreiber und rüttelte an seinem Tischbein.

Schreiber: „Was willst denn du da?“

„Du, ich bin kein Toter“

„Ja, ich habe meine Todesmeldung schon runtergegeben, da ist nichts mehr zu wollen. Geh du nur wieder rein. Du bist morgen früh sowieso voll tot. Da geht ihr alle ab.“

Vielhauer wehrte sich – und überlebte. Der Schreiber, selbst Gefangener, fürchtete am Ende die Solidarität der anderen Gefangenen, sollten diese davon erfahren.

Ausschnitt aus „Dachau, Mauthausen, Buchenwald und zurück“, 1986

Das Internationale Lagerkomitee im KZ Buchenwald verband Sozialdemokraten, Kommunisten und Christen. Nur mit Solidarität kann man solche Einrichtungen überleben. So war der Fotograf Alfred Stübler ‚Zeuge Jehova‘ und Edo Leitner Kommunist – und trotzdem hielten beide zusammen. Der Schwur von Buchenwald kurz nach der Befreiung betont die Vielfalt der Gefangenen:  „Wir Buchenwalder, Russen, Franzosen, Polen, Tschechen, Slowaken und Deutsche, Spanier, Italiener und Österreicher, Belgier und Holländer, Engländer, Luxemburger, Rumänen, Jugoslawen und Ungarn, kämpften gemeinsam gegen die SS, gegen die nazistischen Verbrecher, für unsere eigene Befreiung.“

Sie sprechen aus, was geschehen ist: „51 000 erschossen, gehenkt, zertrampelt, erschlagen, erstickt, ersäuft, verhungert, vergiftet, abgespritzt.“

Diesen Gefangenen von Buchenwald eine Stimme zu geben, ist bis heute wichtig, denn der kalte Krieg ließ viele Stimmen wieder verstummen.
In beiden Verfilmungen von „Nackt unter Wölfen“ – aus Ost und West – blieben die wirklichen Helfer anonymisiert. Weshalb? Mag sein, zu DDR-Zeiten passte jemand wie Willy Bleicher nichts ins linientreue Bild. Er war SPD-Mann aus dem Westen und war vor 1945 bei der KPO, also Opposition zu KPD und Stalin. Für den Westen wiederum war Willy Bleicher den Kommunisten zu nahe. Ost und West blieben hier vorsichtig auf Abstand. Werden die Erinnerungen von Willi Bleicher – wie die vieler anderer politischer Häftlinge – bis heute latent stigmatisiert? Mancher Historiker will sich nicht die Blöße geben, in die Nähe der alten DDR-Propaganda gerückt zu werden und meidet diese Zeugen und Quellen.

Ein neuer Leiter der Gedenkstätte in Buchenwald ließ nach der Wende sogar das Foto des kleinen Jungen abhängen. Die Geschichte von Stefan Jerzy Zweig würde den Blick auf die anderen Opfer verstellen, meinte er. Mit derselben Begründung hätte er auch das Anne-Frank-Haus schließen lassen können. Der kleine Junge ist heute über 70 Jahre alt. Stefan Jerzy Zweig brachte 2005 mit Elfriede Jelinek selbst ein Buch heraus, in dem er sich gegen solche Grotesken wehrte.

Ich wünsche mir von den Historikern und den Gedenkstätten, jetzt nach Ende des kalten Krieges, die Stimmen der Gefangenen wieder viel stärker zu Wort kommen zu lassen. Viele Stimmen, freie Stimmen, weniger gefiltert, Open Source, sichtbar, hörbar, unverstellt. Es gibt sie: Die Erinnerungen, Texte und Filmaufnahmen. Zeitsprünge Heilbronn hat das Rohmaterial alter Interviews mit Walter Vielhauer und Hellmut Riegraf wiederentdeckt und stellt manches Unbekannte darunter online vor.

Bruno Apitz, Autor des Buches „Nackt unter Wölfen“, selbst Gefangener in Buchenwald, hatte auch andere Gründe, die echten Namen der Helfer nicht zu nennen. Wie im Schwur von Buchenwald ging es ihm um einen Appell der Menschlichkeit, der jenseits aller Parteien steht. Er stellte im Roman den inneren Konflikt der Gefangenen in den Mittelpunkt: Jeder Akt der Menschlichkeit konnte Gefahr für sich selbst und andere bringen. Helfe ich diesem, schade ich gleichzeitig anderen? Um dieses Thema in den Mittelpunkt zu stellen, veränderte er die historische Geschichte. Im Roman kommen die Helfer in den Folterbunker, weil sie dem Kind geholfen haben. In Wirklichkeit war es eine illegale Thälmannfeier, die aufgeflogen war und Willi Bleicher und Edo Leitner Folter einbrachte.

Eines der stärksten Bilder in Buch und Film entsprach nicht den historischen Ereignissen: Das dreijährige Kind kam nicht in einem Koffer versteckt ins Lager – es musste nicht gleich am Anfang so aufwändig versteckt werden, wie im Roman dargestellt. Dafür ist der spätere Verlauf der echten Geschichte dramatischer, als es der Roman beschreibt – und wohl erst später mit den Erinnerungen des Vaters Zacharias Zweig bekannt geworden. Wenn heute die alten Zeugenberichte von vielen Seiten wieder zusammenwachsen, zeigt das große Mosaik eine Geschichte, die noch viel spannender und berührender ist, als es der Roman und die Verfilmungen andeuten.

Der Romanautor Bruno Apitz und die Filmemacher 1963 und 2015 haben bewegende Werke geschaffen. Sie brauchten die künstlerische Freiheit. Ihre Geschichten sind in vielen Details genau, folgen im Übrigen einer inneren Wahrheit und einer künstlerischen Integrität. Doch an anderer Stelle sollten die Stimmen der echten Beteiligten bei der Rettung des kleinen Jungen zu Wort zu kommen. Vielleicht kommt in Zukunft einmal eine dritte Verfilmung, die ihre Geschichte erzählt – nicht mehr als Spielfilm, sondern als Dokumentation, die mit Spielfilmelementen gemischt sein kann.

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Wie ging es für Walter Vielhauer und Edo Leitner in Buchenwald weiter?

Edo Leitner funkte mit seinem illegalen Sender am 8. April 1945:

„An die Allierten. An die Armee des Generals Patton. Hier Konzentrationslager Buchenwald. SOS! Wir bitten um Hilfe. Man will uns evakuieren. Die SS will uns vernichten.“

Die Antwort lautete: „Ausdauern. Wir kommen zur Hilfe“

Die Gefangenen wollten nicht länger warten. Als Edo Leitner auf seinem illegalen Funkposten mit einem gestohlenen Fernglas bereits Panzer der Alliierten in einigen Kilometern Entfernung sah und die SS sich bereits abzusetzen begann, wurde das Zeichen zum bewaffneten Aufstand gegeben. Die Waffen waren teils im kleinen Lager,  dem Seuchen- und Sterbelager versteckt, wo Vielhauer dem Aufstand half. Die SS-Lagerleitung zerfiel schon langsam in Chaos, Auflösung und Rückzug.

Das Tagebuch der US-Armee berichtet über den Aufstand der Gefangenen: „Vor unserer Ankunft waren die Wachtürme erobert und 125 SS-Männer gefangengenommen worden.“v11

Nach 1945

Kaum aus dem KZ, engagierte sich Vielhauer wieder in Heilbronn. Er wurde von der Militärregierung zum Bürgermeister für Wohnungs-, Arbeits- und Fürsorgefragen ernannt. Gemeinsam mit Hellmut Riegraf war er an der Entnazifizierung beteiligt – doch beide waren fassungslos enttäuscht, wie sich die Verfahren zur wirkungslosen Farce entwickelten. Wie beide im Rohmaterial des Dokumentarfilms berichten, stellten sich beide bald nicht mehr für die Entnazifizierungsverfahren zur Verfügung.

Vielhauer berichtet im Dokumentarfilm, bald mussten alle Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst unterschreiben, dass sie keiner kommunistischen Organisation angehörten. Alternativ mussten sie den Dienst verlassen. Das galt vom „Ministerialdirektor bis zur Putzfrau“, wie Vielhauer berichtete. Auch Vielhauer war bald aus seinem Amt ausgeschieden, die alten Eliten kamen langsam zurück und die alten nationalistischen Straßennamen wurden wieder eingeführt (Moltkestrasse, Bismarckstrasse, Kaiser-Wilhelm-Platz).

Der Chef des SS-Hinrichtungskommandos in Buchenwald, Wolfgang Otto, kehrte 1954 in den Staatsdienst zurück und wurde als Lehrer im Fach Religion in Geldern verbeamtet.

April 1947, U.S. Army Signal Corps, Wiki gemeinfrei

Der preisgekrönte Film „Das Labyrinth des Schweigens“ von 2014 beginnt mit einem ganz ähnlichen Fall. Wolfgang Otto war neben vielen anderen Morden auch bei der Hinrichtung von Thälmann in Buchenwald dabei, wie Gefangene berichteten. Danach flogen viele aus dem Widerstand im KZ Buchenwald auf. Nach einer illegalen Gedenkfeier für Thälmann holte man Willi Bleicher und Edo Leitner und folterte sie unvorstellbar grausam. Schwer misshandelt überlebten sie nur knapp.

Während der Chef der Hinrichtungskommandos im KZ Buchenwald nach dem Krieg schnell wieder in den Staatsdient kam, erlebte Walter Vielhauer zuerst den Adenauererlass 1950 und dann das KPD-Verbot 1956 als eine Rückkehr der Verfolgung. 1956 wurden alle Verlage, Gebäude und Sachmittel der KPD enteignet, es kam zu vielen Verhaftungen, über 100.000 staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen vermeintliche und wirkliche Kommunisten v21 und tausenden Verurteilungen. Waren dabei Verfolgte aus dem III. Reich betroffen, wurde die Entschädigung infrage gestellt, da sie das Geld zur kommunistischen Zersetzungsarbeit nutzen könnten – der kalte Krieg war im vollen Gange.

Für Walter Vielhauer, wie für viele andere auch, war die Entwicklung existenzbedrohend. Unterstützung bekam Vielhauer von einem integren CDU-Mitglied, einem Heilbronner Unternehmer aus dem Bonhoeffer-Kreis, der nach dem 20. Juli 1944 verhaftet und gefoltert wurde. Walter Albert Bauer war ein Schüler des Realgymnasiums in Heilbronn, der sich im III. Reich dem Freiburger Kreis anschloss und an der Denkschrift des Bonhoeffer-Kreises für eine demokratische Nachkriegsordnung mitwirkte. Die Gestapo fand seinen Namen in einem Notizbuch bei Verfolgungen der Beteiligten vom 20. Juli 1944. Bauer wurde daraufhin verhaftet. Er berichtete später, wie er unter Folter einen Freund verraten habe. Später gestand er es diesem Freund. Jetzt nach dem Krieg würde Bauer niemanden mehr im Stich lassen. Er engagierte sich sehr für alle Hinterbliebenen des 20. Juli – und für andere aus dem Widerstand, wie Walter Vielhauer. Bauer brachte ihn in seinen Firmen unter.

Man sah Vielhauer noch viele Jahre häufig vor den Werkstoren in gewerkschaftlicher Arbeit und auf den Demonstrationen für den Frieden. Er war eine Legende in Heilbronn. 1986 starb er.

Immer wieder wurde vorgeschlagen, nach Walter Vielhauer einen Straßennamen in Heilbronn zu benennen. Bis heute wird es von der Stadt abgelehnt.

Der SS-Henker aus Buchenwald, Wolfgang Otto, ging 1962 als Lehrer mit gesicherten Ruhestandsbezügen vorzeitig in Ruhestand. Erst 1985 kam es zu einem Hauptverfahren wegen seiner Verbrechen. 1986 verurteilt, wurde er nach Revision 1988 freigesprochen. Es lebten kaum noch Zeugen.

Kapitel Hellmut Riegraf – Kapitel Karl und Sascha Kaiser

Quellen

zu Walter Vielhauer

v1: Walter Vielhauer: Dokumentarfilm „Dachau, Mauthausen, Buchenwald und zurück“, 1986, Mediengruppe Schrägspur Heidelberg

v2: „Erinnerungen an das andere Heilbronn“, Dokumentarfilm 1985 von der Gruppe Schrägspur Heidelberg in Kooperation mit der GEW Heilbronn, verantwortlich Christian Müller-Gebhard, Interviews mit Hellmut Riegraf und Walter Vielhauer. 4 Stunden Rohmaterial zu diesem Film konnte für die Recherche gesichtet werden.

v10: Willi Bleicher – Ein Leben für die Gewerkschaften, Nachrichten Verlagsgesellschaft, 1983, Frankfurt a.M.

Im Buch sind Walter Vielhauer,  Emil Carlebach und Stefan Jerzy Zweig mit Beiträgen enthalten.

Ausschnitt aus dem Beitrag von Walter Vielhauer, S.94/95

Bei dem englischen Luftangriff am 24. August 1944 auf die Gustloff-Werke, die dicht beim Häftlingslager standen, brannten auch das Kommandanturgebäude und damit unsere mitgebrachten Akten ab. Jetzt konnten wir in den allgemeinen Lagerbestand eingegliedert werden, wurden jedoch nur solchen Arbeitskommandos zugeteilt, in denen wir so wenig wie möglich mit SS-Angehörigen in Berührung kamen. Ich wurde im untersten Teil des Lagers, im so genannten Zeltlager Schreiber. Außer zur Abnahme des Zählappell kam dorthin kaum ein SS-Mann. Die hatten eine Riesenangst vor den dort ständig herrschenden Seuchen und Ansteckungsgefahr, von Läusen und Flöhen.
Dort nun lernte ich Willi von einer anderen Seite kennen, von seiner herzlichen Kinderliebe für einen kleinen jüdischen Polenjungen. Durch Film und Buch „Nackt unter Wölfen“ ist die Geschichte des kleinen Juschu Zweig weltbekannt geworden. So wie Willi uns gefährdete Dachauer als erster aus der Schusslinie der SS gebracht hatte, hat er dieses dreijährige Kind, dass unbemerkt und somit ohne Häftlingsnummer ins Lager kam, dem Zugriff der SS entzogen und wochenlang in den Räumen der  Effektenkammer versteckt und ernährt. Aber irgendwie wurde das Vorhandensein des Kleinen bekannt und er musste ein besserer Platz für diesen gefunden werden. So landete eines Tages ein kleiner Kindertopf, ein Kinderbett und andere kleine Utensilien in unserer Schreibstube. Nach dem Abendappell brachte Willi, gut eingepackt, sein Kind zu uns. Er konnte sich kaum trennen von dem eben so lieb gewordenen kleinen Wesen. (…)
In den nächsten Tagen bauten wir ein geeignetes Versteck für das Kind. Das Bettchen musste verschwinden, auch wenn es mit viel Liebe und Sorgfalt zusammengebastelt war. An Sonntagnachmittagen oder in Dämmerstunden tauchte Willi, immer wenn es sicher schien, bei uns auf, nahm den kleinen Joshua auf den Arm und freute sich an ihm und mit ihm. Eines Tages blieb Willi aus. Die Lagerleitung hatte ihn zur Gestapo nach Weimar überstellt, wo er grausam geplagt wurde.

Rede von Emil Carlebach am 25.4.1986 am Grab von Walter Vielhauer (Quelle privat)

„Es ist aber kaum bekannt, weil Walter Vielhauer darüber nie gesprochen hat, dass, nachdem Willi Bleicher den kleinen Dreijährigen aus der Gefahr der Vergasung herausgezogen hatte, die Partei dem Genossen Walter Vielhauer den Auftrag gab, den weiteren Schutz dieses Kindes im so genannten kleinen Lager zu übernehmen (…) im unteren Teil des KZ Buchenwald, wurde eine Steinbaracke errichtet (…) Diese zweigeteilte Steinbaracke war aber in Wirklichkeit eine dreigeteilte, denn die Zwischenwand, die unsere Kameraden mauerten, war eine Doppelwand mit etwa 1,50 m hohlem Zwischenraum, in dem eine Mulde angebracht wurde, das war die Schlaf- und Lebensstelle des kleinen Jerchi Zweig. Dort wurde er versteckt, und sein Betreuer und Beschützer hieß Walter Vielhauer (…)“

v11 ebenda

Über den Ausbruch:
„Walter war einer derer, die das Ausgraben und die Übergabe der Waffen zu beaufsichtigten hatten. Und er war einer derer, die dann mit uns allen zusammen den Sturm auf den Stacheldraht, die Eroberung der Wachtürme, die Gefangennahme von über 200 SS -Verbrecher miterleben konnte. „

Dazu der Lexikoneintrag auf Wikipedia: „Das Kriegstagebuch des Hauptquartiers der 4. Gepanzerten Division, auch G-2 Journal genannt, bestätigt Folgendes mit Datum vom 13. April 1945: „Vor unserer Ankunft waren die Wachtürme erobert und 125 SS-Männer gefangengenommen worden, die noch im Gewahrsam des Lagers sind.“[19]

Siehe auch Filmausschnitt der Gedenkstätte Buchenwald

v20 Vielhauer berichtet von den Anarcho-Syndikalisten In Heilbronn un dem Theaterstück mit Martha Woll im Interview-Rohmaterial v1 ab ca.  Bandstelle 1:47 ( Stunde: Minute )

„Erinnerungen an das andere Heilbronn“, Dokumentarfilm 1985 von der Gruppe Schrägspur Heidelberg in Kooperation mit der GEW Heilbronn, verantwortlich Christian Müller-Gebhard

19.4.2016, Konrad Wanner, Rede  zum 30. Todestag von Walter Vielhauer

Podcast mit Rede zur Gedenkveranstaltung für Walter Vielhauer 9.5.2016 (siehe auch unten)

Am Montag, den 9. Mai 2016, haben im Heilbronner Gewerkschaftshaus über 80 Menschen an einer Veranstaltung in Erinnerung an den Kommunisten Walter Vielhauer teilgenommen.

biographischer Lexikoneintrag über Walter Vielhauer auf Wikipedia

Kapo der Kretiner, Autorin Hilde Wagner, Verlag Pahl Rugenstein, 2009

Im Buch werden auch die Erinnerungen und Bücher anderer Häftlinge zitiert, dadurch werden die Kernaussagen der Erinnerungen durch verschiedene Zeugenaussagen bekräftigt.

v21

Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik – Suhrkamp, FfM 1978, S. 242.

Rolf Gössner, Die vergessenen Justizopfer des Kalten Krieges – Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 1998, S. 26.

Walter Albert Bauer

Walter Bauer (1901-1968) – Unternehmer mit christlichem Ethos, Heilbronner Köpfe VIII, Elke Schulz-Hansen,. Stadtarchiv Heilbronn 2016

biographischer Lexikoneintrag über Walter Albert Bauer auf Wikipedia

ZEIT, 3.11.1961 „Ohne Amt und Mandat – Walter Bauer, der politisch stets im stillen wirkte, wird sechzig Jahre alt“

Buch und Verfilmung „Nackt unter Wölfen“

Nackt unter Wölfen, Regie Philipp Kadelbach,  Deutschland, 2015, UFA Fiction für den MDR /ARD, ganzer Film hier

Nackt unter Wölfen, DEFA, 1963, Regie Frank Beyer

Nackt unter Wölfen, Roman, Bruno Apitz, 1958, Mitteldeutscher Verlag

Tränen allein genügen nicht, von Zacharias Zweig posthum und Stefan Jerzy Zweig, Eine Biographie und ein wenig mehr, Eigenverlag, A-1152 Wien, mit einem Nachwort von Elfriede Jelenik.

Edo Leitner

Edo Leitner in der Mitte nach Befreiung in Buchenwald, Fotograf Stübler, Gedenkstätte Buchenwald

Dokumentarfilm „Edo Leitner“ von Heidi Eisenbraun und Horst Haugg , 1983, Projektarbeit  an der Fachhochschule für Gestaltung in SchwäbischGmünd

Edo Leitner, Galgenlieder, Gedichte, Dipa-Verlag 1989, Frankfurt am Main

Edo Leitner wird erwähnt in einem Interview mit Willi Bleicher, Zeugen des 20. Jahrhunderts , auf der Homepage von Stefan Jerzy Zweig, Seite 28, Interview mit Willi Bleicher.

Zur Vorbereitung der Thälmannfeier sollte Edo Leitner für Willi Bleicher ein Bild von Thälmann anfertigen. Beide wurden später für diese Aktion schwer gefoltert.

Willi Bleicher

Willi Bleicher war vor 1945 KPO-Mitglied

Dokumentarfilm über Willi Bleicher „Du sollst dich nie vor einem lebenden Menschen bücken“

docfilm 1977

biographischer Lexikoneintrag über Willi Bleicher  auf Wikipedia

Willi Bleicher – Ein Leben für die Gewerkschaften, Nachrichten Verlagsgesellschaft, 1983, Frankfurt a.M.

Im Buch sind Walter Vielhauer,  Emil Carlebach und Stefan Jerzy Zweig mit Beiträgen enthalten.

Stefan Jerzy Zweig Homepage

Interview mit Willi Bleicher auf der Webseite von S.J. Zweig

Erinnerungen von Zacharias Zweig, Vater des kleinen Jungen

Emil Carlebach

Dokumentarfilme Emil Carlebach:

siehe „Gedächtnis der Nation“, mehrere Folgen von Interviews mit Emil Carlebach

Der Verein „Unsere Geschichte. Das Gedächtnis der Nation“ hält die Erinnerungen von Zeitzeugen in Videointerviews fest und macht sie in einem Online-Archiv für jeden zugänglich.

Weitere Dokumentationen auf youtube: Emil Carlebach

biographischer Lexikoneintrag über Emil Carlebach auf Wikipedia

Buchenwald

Über Widerstand im KZ Buchenwald siehe wikipedia-Artikel

Plan des Lagers

Die Gedenkstätte Buchenwald veröffentlichte einen Text zur kritischen Hinterfragung von „Nackt unter Wölfen“ – doch leider kommen darin (bis auf den Vater des Kindes) die Beteiligten nicht selbst zu Wort. Der O-Ton der Beteiligten siehe Quellen zu den Personen oben.

Über Wolfgang Otto: siehe biographischen Eintrag im Lexikon wikipedia

Gedenkstätte Buchenwald, unter anderem Fotoarchiv hier

Buchenwald nach 11.4.1945, US Army, public domain, wiki

Der Schwur von Buchenwald

CC BY SA 3.0, wiki

Weiterführende Quellen:  schulpolitischer Entwurf des Buchenwalders Volksfrontkomitees

siehe: Über die Tätigkeit der Erziehungskommission des illegalen Volksfrontkomitees im Konzentrationslager Buchenwald im Jahre 1944, Hans Brumme, in Monumenta Paedagogica Bd. XV, Berlin 1974, Seite 387ff., siehe auch Lexikoneintrag dazu auf Wikipedia hier

weitere Quellen – Datenschutzerklärung – Impressum

unterstützt von Code für Heilbronn, Stadtarchiv Heilbronn u.v.m.