9./10. November 1938 in Heilbronn und ein stiller Skandal der Gegenwart

Ludwig Ruff, StA Hn (a)

Hans Franke berichtet, wie eine Wohnung in der „Kristallnacht“ zerstört wurde:

Innerhalb etwa einer halben Stunde wurde die gesamte Wohnungseinrichtung mit Brecheisen und Eisenstangen usw. kurz und klein geschlagen, selbst „harmlose Gegenstände wie Arzneiflaschen, eine Serie von Kleiderhaken wurden einzeln zertrümmert oder abgeschlagen; es wurden (…) Fensterscheiben zerstört, ferner Pokale, Gläser, Vasen, Schalen, Geschirr, ebenso Möbel, eine Nähmaschine, eine Schreibmaschine, der Radioapparat (…)“ Was zurückblieb, war ein schreckliches Trümmerfeld, und der kommende Morgen sah das Bild der mit Glasscherben übersäten Straßen, die leeren Fenster, die demolierten Schaukästen und Schaufenster der Firmen.1 (Haus Landauer in der Klettsraße 5)

Fallbeispiel Bismarckstraße

Die „sinnlose Verwüstung“ (…) im Falle der Bismarckstr. 3a wird von Augenzeugen als „geradezu unbeschreiblich“ bezeichnet. (Bf. von Max Reis vom 14.11.1938)

Hans Franke nennt die  Bismarckstr. 3a als Beispiel für die „totale Zerstörung“, die der Polizeidirektor am nächsten Tag feststellt.2 Hier war das jüdische Gemeindehaus, in dem auch Ezra Ben Gershom seine Kindheit verbrachte. Es war nicht nur eine der vielen Wohnungen, die in der Pogromnacht zerstört wurden,  es war zudem ein Ort, in dem jahrelang viele Verfolgte zwangseingewiesen  wurden und dort auf ihre Deportation warten mussten, im Jargon des Nationalsozialismus ein sogenanntes „Judenhaus“.

Wie geht die Stadt mit dem Ort um?

Die  Bismarckstr. 3a wurden arisiert, kam in den Besitz der Stadt, ist heute neu bebaut.  Wie wird dem Ort gedacht? 1995 stellt Heilbronn für hohe Kosten um 100.000 DM den überlebensgroßen Bismarck dem Ort gegenüber – und so unglaublich es klingt –  ganz bewusst mit Blickrichtung auf den historischen Ort. Die Begründung bringt dann noch in einer Weise national  & sozial zusammen, die Applaus von der falschen Seite erntet.

Die Republikaner jubelten im Gemeinderat

Man kann es in den Zeitungsberichten nachlesen: die Republikaner im Gemeinderat waren begeistert, als der Heilbronner  Gemeinderat 1995 einstimmig mit den Republikanern entschied, dass Bismarck hier an seinen neuen Platz in Schulnähe umzieht. Es machte Schlagzeilen, als die extreme Rechte im Gemeinderat ein Loblied auf Bismarck anstimmte473 – den anderen Parteien war dieser Applaus  dann doch peinlich –  doch sie hatten es sich selbst eingebrockt.

Heilbronner Stimme: Eiserner Kanzler nach wie vor Galionsfigur

Die Heilbronner Stimme erhob den Eisernen Kanzler nochmals zur ‚Galionsfigur‘ in der Schlagzeile zur Einweihung, Bismarck als Reichsgründer blickt stolz auf das (arisierte) Grundstück, auf dem jetzt das Sozialamt stand. „Auf Rat des Denkmalamtes, das den Standort festlegte, wird damit auch Bezug zur verdienstvollen Sozialpolitik“ Bismarcks geschaffen 474 –  vergessen Arisierung, Verfolgung, „Judenhaus“ an dieser Stelle. Ausgerechnet das Denkmalamt kannte nicht die Geschichte des Ortes? Kaum denkbar.

Wurde dem Ort der Verfolgung gleichzeitig gedacht? Nein, nichts davon steht in den Presseberichten zur Aufstellung Bismarcks. Vergessen? Es gibt Belege, dass ein Gedenken sogar aktiv verhindert wurde – von der Spitze der Stadt. Der Regisseur Wilhelm Rösing berichtet, wie im selben Jahr 1995, als die Republikaner im Rathaus jubelten, das Büro des Oberbürgermeisters beim SDR anrief, um die Ausstrahlung eines Dokumentarfilms zu verhindern, der sich intensiv mit einer jüdischen Emigrantin beschäftige, die hier in der Bismarckstraße zur Schule ging und Verfolgungen ausgesetzt war. Der Film konnte nicht in Heilbronn gezeigt werden, berichtet der Regisseur. Der Film ist jetzt wieder erhältlich, kann hier bestellt werden – anschauen lohnt sich. Im Buch Mut zur Erinnerung wird über den Inhalt berichtet. Weshalb einige Heilbronner die Ausstrahlung lieber verhindern wollten, wird hier verständlich.

Und heute? Hat sich etwas geändert?

Anfragen an das Denkmalamt und  Museumsleitung in Heilbronn sprechen für sich.

Zeitsprünge sprach mit Denkmalpfleger Joachim Hennze über belastete Denkmäler in der Bismarckstraße wie die Soldaten mit Handgranate vor dem Gymnasium. Weshalb muß ich das hier jeden Tag sehen, während Verfolgung und Widerstand in der Bismarckstraße nicht gedacht wird?

Dafür gibt es in der Stadt kein Geld, antwortete Hennze, man müsste es mit privaten Mitteln organisieren. Im übrigen: die Denkmalpflege schütze auch belastete Denkmäler an ihrem historischen Ort.

Weshalb wurde dann Bismarck unter hohen Kosten an den falschen Ort umgesetzt? Weshalb sechsstellige Summen für national-soziale Symbolik und kein Geld für Gedenken der Verfolgten und des Widerstands, die mit dem Ort verbunden sind? Die Gebäude am Bismarckplatz wurden nach Kindern von Bismarck benannt.

Zeitsprünge hat  Vorschläge für ein künstlerisches Denkmal entwickelt, das an den Ort erinnert und dabei Bismarck den Spiegel vorhält. Der Entwurf ist schlicht, unaufdringlich, aber deutlich. Doch den meisten schon zuviel.

Auch Museumsleiter Gundel winkt ab, hält ein Denkmal an der Stelle nicht für notwendig, nicht für kunstwürdig. Eine kleine Gedenktafel reiche hier  aus und falle nicht in seine Zuständigkeit für Kunst im öffentlichen Raum.  Von der Museumsleitung  gibt es auf Anfrage keine  Auskunft über Ausschreibungen für Kunst im öffentlichen Raum, Vorschlags- und Antragswege dazu.

Keine Stolpersteine für Verfolgte, die zwangweise in der Bismarckstraße wohnten

Gunter Demnig verlegt seit Jahren Stolpersteine, anfangs auf eigene Kosten und teils im Widerstand zu den Städten, heute heften sie sich sein Engagement an die Brust. Doch es gibt keine Stolpersteine für die vielen Verfolgten, die in die Bismarckstraße 3a zwangsweise eingewiesen wurden,  denn Stolpersteine gibt es nur für den letzten freiwilligen Wohnort der Verfolgten. Immerhin, für  zwei Menschen war die Bismarckstraße 3a auch der letzte freiwillige Wohnort, für diese wurden schließlich zwei Stolpersteine verlegt,  doch kann dies nicht die Tragweite des Ortes mit einer großen Vielzahl an Verfolgten deutlich machen.

Die Umsetzung des Bismarckdenkmals in Schulnähe hatte eine deutlich pädagogische Geste, Erinnerung an die „verdienstvolle Sozialpolitik“ des Nationalhelden– gleichzeitig  wurde der Schule der Bau „Herbert von Bismarck“ direkt gegenüber gesetzt, nach dem Sohn Bismarcks, der ein  ausgesprochener Antisemit war. Die Gebäudekomplexe am Platz nach Kindern Bismarcks zu benennen, betont das Erbe Bismarcks in der Fortschreibung der jungen Generation.

Es ist eine typisch Heilbronner Geschichte – und wichtig, mit künstlerischen Mitteln dem einen Spiegel vorzuhalten – zum Denkmalentwurf hier

Der Film zeigt eine Aufnahme der Bismarckstraße aus dem Jahr 1907. Pate dieser Glasplatte der Gebrüder Metz ist Wolfram Hietschold. Man blickt vom Dach des Realgymnasiums auf die Stadt. Die Kuppel der Synagoge ist links oben zu sehen. 

 

Bismarckplatz: abmontiert

Place de Republique 1945, Strasbourg

Oben: Zusammen mit dem Nazi-Plunder wurde in Straßburg nach der Befreiung auch das Straßenschild „Bismarckplatz“ abmontiert. Der Platz heißt heute wieder Platz der Republik.  Bismarcks Kanonen hatten 1871 Straßburg stark beschädigt, unter anderem ging die ganze Kunstsammlung der Stadt verloren. 1943/1944 gab es weitere starke Kriegsschäden in der Stadt. 1945 befanden sich viele Kunstschätze Straßburgs in den Salzminen bei Heilbronn. In den Kapiteln über Raubkunst wird ausführlich darüber berichtet.

Auch in Heilbronn wurde die Bismarckstraße nach  1945 zunächst umbenannt –  anders als in Straßburg kam in Heilbronn jedoch bereits 1949 wieder die Rolle rückwärts, Moltke  und Bismarck bekamen ihre Straßen zurück und wurde 1995 noch um den Bismarckplatz mit  Heldendenkmal erweitert.

 

Siehe weitere Kapitel zum Thema

Entwurf für ein Denkmal der Verfolgten  des ehem. Judenhauses am Bismarckplatz

Kapitel  Heldendenkmal

Zeichen setzen– der Denkmalstreit seit über 100 Jahren

Kapitel zum Bismarckplatz in  “Mut zur Erinnerung

 

Quellen (Auszug)

1 Hans Franke, Geschichte und Schicksal der Juden in Heilbronn, 1963, ergänzte und korrigierte Online Fassung von 2009/2011, S.131 ff.

2 ebenda, Seite 133 und Fußnote 8 dazu

472 „Posthume Gnade für Bismarck“, von Kilian Krauth, 12.9.1994, Heilbronner Stimme

473 „REP-Wirbel wegen Bismarckdenkmal“ von Joachim Friedl, 17.3.1995

474 „Der Kanzler als Galionsfigur – die Statue des Namensgebers sollte Bismarckplatz Identität geben“ von Uwe Werner, Heilbronner Stimme, 4.9.1995

Der Regisseur Dr. Wilhelm Rösing hat „Zeitsprünge Heilbronn“ in der Korrespodenz zu seinem Film „Was es heißt, ein Exilant zu sein – schwierige Begegnung in Heilbronn“ vom Anruf des Büros  des OBs beim Sender u.a. berichtet (29.5.2018)

 

Mehr über Ezra Ben Gershom  hier

Weitere Kapitel

Familie Gumbel und Familie Kahn

Synagoge Heilbronn

 

weitere Kapitel über den interaktiven Stadtplan

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