Familie Gumbel

Ida und Siegfried Gumbel, 1904

Archiv M.U. Schmidt u. StA Hn, Fotograf unbekannt, gemeinfrei

Über Generationen hinweg gehörte die jüdische Familie Gumbel mit ihrem sozialen und politischen Engagement in Heilbronn und darüber hinaus zu den herausragenden Familien.

 

Neubeginn nach 1848

Die Brüder Isaak und Moses Gumbel kamen mit der beginnenden Liberalisierung um 1858 von Stein am Kocher nach Heilbronn. Der Gasthof ‚Sonne‘ in der Sülmerstraße war ihre erste Station. Mit den Emanzipationsgesetzen ab 1860 wurden sie Bürger der Stadt und gründeten eine Bank, die nach einigen Veränderungen von 1918 bis 1933 im Barbarinoeck bestand. 

Nachdem beide Brüder Familien gründeten, teilten sie das Geschäft auf und Isaak eröffnete die Bank Gumbel am Markt, unterstützt von seinem Sohn Abraham.

Abraham Gumbel (1852-1930), ein Kind der 1848er Generation und der Emanzipationsbewegung, engagierte sich zeitlebens für den weiteren gesellschaftlichen Fortschritt: Der Pazifist war Mitbegründer der Sozialdemokraten und der Friedensgesellschaft in Heilbronn, publizierte für die Aussöhnung, gegen Krieg und Militarismus und forschte später nach dem 1. Weltkrieg über die Kriegsschuld.

StA Hn, Kolorierung jp

Als sein Sohn 1915 in Sedan als Soldat starb, wurde er leidenschaftlicher Kriegsgegner. Eine Hauptursache des Krieges sah er in der Projektion einer Kollektivschuld: Alle Serben wurden für die Ermordung des Thronfolgers verantwortlich gemacht. Abraham Gumbel kannte die Stigmatisierung als Sündenbock bereits durch seine jüdische Herkunft, ebenso wie durch sein früheres Engagement für die Sozialdemokraten.

Mit seiner Unterstützung von Bismarcks Politik zur Börsensteuer geriet Abraham Gumbel 1884 in Konflikt mit seiner Partei. 1887 trat er aus der SPD aus und unterstützte Jahre später die Liberalen der DDP.

1909 gründete Abraham Gumbel den Heilbronner Bankverein und wurde zur Keimzelle der heutigen Volksbank.

Auch Moses Gumbel hatte einen Sohn, der für sein Engagement in Heilbronn große Bekanntheit erlangte. Siegfried  Gumbel (1874-1942) wurde Rechtsanwalt, war in vielen öffentlichen Aufgaben sozial und politisch für die DDP im Gemeinderat engagiert. Siegfried Gumbel heiratete 1904 Ida Rosenthal.

1910, gemeinfrei, Wikipedia

 

Ihre Söhne Erich und Otto im Jahr 1915

©Beit Hatfutsot, the Oster Visual Documentation Center, Tel Aviv (gu2)

Ida Rosenthal erkrankte einige Zeit nach der Geburt ihrer Kinder an Multipler Sklerose. Siegfried Gumbel baute in seinem Haus in der Gartenstraße einen Aufzug für seine Frau ein und nach der Arbeit las er ihr im Garten oft stundenlang Bücher vor.

Sohn Otto als Student 1923

©Beit Hatfutsot, the Oster Visual Documentation Center, Tel Aviv (gu2)

Sein Sohn Otto heiratete 1924  eine orthodoxe, polnische Jüdin. Siegfried Gumbel stand ihr ablehnend gegenüber, wird berichtet. Seine Partei, die DDP, versuchte sich von den ‚Ostjuden‘ abzugrenzen (mehr dazu im Kapitel Theodor Heuss).

Adela Gumbel (geb. Karmazin), Ehefrau von Otto Gumbel

©Beit Hatfutsot, the Oster Visual Documentation Center, Tel Aviv (gu2)

 

Die Söhne Erich und Otto Gumbel wanderten sofort nach den Heilbronner Pogromen am 1.4.1933 aus.

Der Vater machte sich anfangs noch Hoffnungen, die Nazis würden sich an Recht und Gesetz halten. Hellmut Riegraf berichtet darüber, dass er Siegfried Gumbel 1933 traf (siehe Kapitel Hellmut Riegraf, das bald erscheint).

Siegfried Gumbel

undatiert, ©Beit Hatfutsot, the Oster Visual Documentation Center, Tel Aviv (gu2)

Siegfried Gumbel pflegte noch seine Frau bis zu ihrem Tod 1936. Danach besuchte er zweimal, 1937 und 1938, seinen Sohn Erich in Palästina. Erich Gumbel wurde in seiner neuen Heimat ein bedeutender Psychoanalytiker.

Das Portrait zeigt Erich Gumbel nach 1950 als Vorsitzenden der psychoanalytischen Gesellschaft in Israel, die er bereits 1934 im damaligen Palästina gründete. (Foto Israel Psychoanalytic Society)

Vater und Sohn in Palästina, 1937

Archiv M.U. Schmidt u. StA Hn, Fotograf unbekannt, gemeinfrei

Erich und seine Frau Lidia machten sich im April 1938 Hoffnungen, dass Siegfried Gumbel in Palästina bleiben und sich retten würde…

Lidia Gumbel

Archiv M.U. Schmidt u.  StA Hn, Fotograf unbekannt, gemeinfrei

….doch Siegfried Gumbel entschied sich, nach Deutschland zurückzukehren, um anderen zu helfen – kürzlich hatte man ihn erst zum Oberrat der israelischen Gemeinde in Württemberg gewählt. In seiner Sprechstunde riet er allen anderen eindringlich, so schnell wie möglich Deutschland zu verlassen – während er selbst blieb. Er machte sich keine Illusionen mehr. Als am 7. November 1938 in Paris der Anschlag auf den deutschen Gesandten vom Rath verübte wurde, sagte er zu einem Mitarbeiter Julius Wissmann: „Ihre Phantasie reicht nicht aus, um vorauszusehen, was kommen wird!“ gu11

 

Fotograf Ludwig Ruff, Heilbronner Synagoge am Tag des Brandes 8./9. November 1938, StA Hn

Kurz darauf folgte am 8./9. November 1938 die Reichspogromnacht und die Synagoge brannte in Heilbronn wie in vielen anderen Städten. Siegfried Gumbel kam noch im selben Jahr ins KZ Welzheim. Er kam gebrochen zurück, berichtet Julius Wissmann, der selbst im April 1939 die Koffer packte und nach Brasilien auswanderte. Siegried Gumbel blieb. Er fuhr im Sommer 1939 nochmals zu Verhandlungen für die israelische Gemeinde nach Genf und kehrte doch wieder zurück nach Deutschland, das bereits in Mobilmachung für den neuen Krieg stand.

Sein Sohn Otto lebte in dieser Zeit mit seiner Familie in Frankreich. Er hatte dort seinen Namen Gumbel in Guivol geändert, Abraham Guivol. Als die Deutschen 1940 einmarschierten, waren sie auch in Marseille nicht mehr sicher. Marschall Pétain übernahm bald immer mehr die judenfeindliche Politik der Besatzer.

Die Kinder von Otto und Adela Gumbel 1940 in Marseille.

©Beit Hatfutsot, the Oster Visual Documentation Center, Tel Aviv (gu2)

1941 kam Siegfried Gumbel ins KZ Dachau und wurde dort Januar 1942 ermordet. Andere aus der Familie Gumbel kamen im KZ Theresienstadt um.

1943 fanden Massendeportationen in Marseille statt. Die Familie von Otto Gumbel konnte sich rechtzeitig  in die französische Schweiz retten. Die Familie wanderte anschließend nach Palästina aus und lebte dort in Jerusalem.

Die Kinder von Otto und Adela 1943/44 in der französischen Schweiz

©Beit Hatfutsot, the Oster Visual Documentation Center, Tel Aviv (gu2)

 

Emil Julius Gumbel – mutiger Publizist der 20er Jahre

Ein Enkel des Heilbronner Gründervaters Isaak Gumbel lebte nach 1933 ebenfalls im Exil in Frankreich: Emil Julius Gumbel war vor 1933 ein bekannter Autor und Professor in Heidelberg. Er forschte über rechtsradikale Gruppen und die Fememorde in den 20er Jahren.

Emil Julius Gumbel (1891-1966)

Quelle: Universität Heidelberg

Sein Vater hatte Heilbronn Richtung München verlassen, so wuchs Emil an der Isar auf und studierte dort Nationalökonomie.

Bereits 1922 veröffentlichte er ein Buch über politische Morde und konnte aufzeigen, dass über 300 Morde von Rechtsradikalen verübt wurden, die keine oder geringe Strafen erhielten. 1923 wurde er in Heidelberg zum Professor der mathematischen Statistik berufen.

Mit Albert Einstein engagierte er sich für die Liga der Menschenrechte. Er schrieb für die Weltbühne und war mit Tucholsky und Heinrich Mann befreundet.

Nationalisten griffen ihn immer wieder an. Sie hatten Erfolg, als Emil Gumbel 1932 in Erinnerung an die Hungertoten des Kohlrübenwinters 1916/17 davon sprach, dass eine Kohlrübe sich besser als Kriegerdenkmal eigne als eine leichtbekleidete Jungfrau. Darauf entzog ihm der Kultusminister (Zentrumspartei) die Lehrberechtigung. Emil Gumbel ging nach Paris, wo er bereits seit 1932 Gastvorlesungen hielt. In Frankreich war er einer von vielen aktiven Emigranten, die vor Hitlerdeutschland warnten.

 

Unten: Originalausgabe aus den 20er Jahren und späterer Reprint eines Buches von E. J. Gumbel

 

Mit dem Einmarsch in Frankreich 1940 floh Emil Gumbel in die USA.

Friedel Krämer aus Heilbronn,  Studentin von Emil Gumbel in seiner Heidelberger Lehrzeit, musste ebenfalls fliehen und erzählt von ihren Erlebnissen im Dokumentarfilm „Was es heißt, ein Emigrant zu sein„.

Die Stadt ehrt heute das Andenken der alten Heilbronner Familie Gumbel, von denen die meisten fliehen mussten oder starben. Im Neubau der Volksbank findet sich heute der Abraham-Gumbel-Saal, benannt nach dem Gründer des Bankvereins.  Familie Gumbel ist, wie viele der anderen bedeutenden jüdischen Familien in Heilbronn, ein Beispiel dafür, wie wirtschaftliches, soziales und kulturelles Engagement sich verbanden und die Stadt über viele Grenzen hinweg bereichert haben.

Unten: Hellmut Riegraf aus dem Heilbronner Widerstand im III. Reich erinnert sich 1985 im Interview an die Verfolgungen, die jeder in Heilbronn miterlebte, an die vielen anderen jüdischen Familien:

Ausschnitt aus Material zu „Das andere Heilbronn“ von der Mediengruppe Schrägspur, Heidelberg, gu1

 

Mit besonderen Dank an die Volksbank Heilbronn

unterstützt von:

Stadtinitiative Heilbronn – Intersport Saemann – Sparkasse Heilbronn – A. Grimmeissen – Volksbank Heilbronn – M. Lindenthal

weitere Kapitel über den interaktiven Stadtplan

 

Fußnoten zum Kapitel Familie Gumbel:

gu1: Ausschnitt aus dem Filmmaterial zu „Das andere Heilbronn“ von der Mediengruppe Schrägspur, Heidelberg in Kooperation mit der GEW Heilbronn aus dem Jahr 1985, Schnittaufbereitung des Rohmaterials der Interviews für das Videozitat von Zeitsprünge Heilbronn.

gu2: diese Fotografien stammen aus dem Archiv ©Beit Hatfutsot, the Oster Visual Documentation Center, Tel Aviv, Courtesy of Dan Givol, Israel

gu11: Siegfried Gumbels Mitarbeiter Julius Wissmannn berichtet von der Aussage, zitiert nach M.U. Schmidt, Artikel über Siegfried Gumbel in Heilbronner Köpfe IV, Stadtarchiv Heilbronn 2007.

Julius Wissmann selbst wanderte am 7. April nach Brasilien aus.

Sonstige Quellen:

Hans Franke Geschichte und Schicksal der Juden in Heilbronn. Vom Mittelalter bis zur Zeit der nationalsozialistischen Verfolgungen (1050–1945). Stadtarchiv Heilbronn, Heilbronn 1963

Siehe auch die  Lexikoneinträge zu Familie Gumbel, Abraham Gumbel, Siegfried Gumbel und Julius Gumbel auf Wikipedia

Martin Uwe Schmidt: Siegfried Gumbel (1874-1942): Humanität gegen Barbarei. In: Heilbronner Köpfe IV (Kleine Schriftenreihe des Archivs der Stadt Heilbronn 52), Heilbronn 2007, S. 51–68.

Peter Wanner: Siegfried Gumbel. In: Württembergische Biographien, Band 2, Stuttgart 2011

Uwe Jacobi, Die vermissten Ratsprotokolle: Aufzeichnungen der Suche nach der unbewältigten Vergangenheit, Heilbronn 1981.

Dt.-Jüd. Freundeskreis Heilbronn e.V. (Hrsg.): Warum die Synagogen brannten… Eine lokalhistorische Dokumentation zur Erinnerung an die jüdischen Gemeinden in Heilbronn und Umgebung und ihre Zerstörung nach 1933. Heilbronn 1993.

Ulrich Maier: Sozialdemokrat, Bankier, Friedensaktivist. Abraham Gumbel (1852–1930), in: Christhard Schrenk (Hg.), Heilbronner Köpfe VII. Lebensbilder aus vier Jahrhunderten (= Kleine Schriftenreihe des Archivs der Stadt Heilbronn 61), Stadtarchiv Heilbronn 2014

Emil Julius Gumbel – Das rechte Auge – Artikel in der ZEIT, Benjamin Lahusen, 9.2.2012

Emil Gumbel in Heidelberg, Gabriele Dörflinger, 2017

Entlassungsgrund Pazifismus, Harald Maier-Metz, Waxmann 2015, Münster-New York

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