Unpassend aufgestellt: Bismarck starrt seit Jahren auf die Stelle des ehemaligen ‚Judenhauses`, einem Ort der Verfolgung mit besonderer Geschichte. Es ist der historisch falsche Ort für das Bismarckdenkmal.
Bismarck sollte besser zu seinem Kaiser auf den alten Friedhof ziehen.
Erinnerung an einen besonderen Ort
Hier in der Bismarckstraße 3a stand ein Haus der jüdischen Gemeinde, das in der Zeit des Nationalsozialismus ein sogenannten „Judenhaus“ wurde. Vor der Deportation oder Emigration mussten viele jüdische Mitbürger dort zwangweise ihren Wohnsitz nehmen. Eine ausführliche Beschreibung dazu findet sich am Ende des Artikels.
Entwurf für ein Mahnmal
Der Entwurf sieht ein schlichtes, gut sichtbares Mahnmal für die Verfolgten des ehemaligen „Judenhauses“ vor: eine schmale, hohe Spiegelstele mit den Namen der Verfolgten im Spiegelglas.
Solange Bismarck hier noch steht, blickt er hier in den Spiegel. Je nach Position sieht man auch die Schule am ehem. Kaiser-Wilhelmplatz im Spiegel.
Stele aus getöntem Glas mit Spiegelbild
Stele 3,20 Meter hoch, 80cm breit, Schrift 2,8cm, getöntes Glas, sandgestrahlt
Ausschnitt
(mehr zu Sandstrahltechnik und getöntem Glas)
Arisierung durch die Stadt?
Heute steht ein Amtsbau der Stadt an der Stelle des ehemaligen ‚Judenhauses‘. Wie kommt die Stadt Heilbronn am Ende von Verfolgung und Arisierung in den Besitz dieses Grundstücks? Es könnte eine besondere Verpflichtung sein, hier aufzuklären und ein Mahnmal zu unterstützen.
Schild am Bismarckpark heute
Die ganze nationalistische Symbolik im Schulviertel ist fehl am Platz: 1948 wurden die alten nationalistischen Straßennamen wieder eingeführt (Bismarck & Moltke), später die Friedenkirche abgerissen, es blieb das Soldatendenkmal mit Handgranaten auf dem Kaiser-Wilhelmsplatz vor der Schule, 1995 der Bismarckpark mit Widmung seiner Dynastie. Im selben Jahr drehte der SDR einen kritischen Film über Schatten der Vergangenheit über dem angrenzenden Gymnasium (siehe Studie „Mut zur Erinnerung“ und Bestellmöglichkeit beim Regisseur hier ), das Büro des Bürgermeisters versuchte, den Film zu verhindern, berichtet der Regisseur.
Der Film zeigt eine Aufnahme der Bismarckstraße aus dem Jahr 1907. Pate dieser Glasplatte der Gebrüder Metz ist Wolfram Hietschold. Man blickt vom Dach des Realgymnasiums auf die Stadt. Die Synagoge ist gut zu sehen.
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Anhang
Auszug aus der Studie „Mut zur Erinnerung“
Das Heldendenkmal bei der Schule
“Gymnasium Heilbronn! Deine Mauern sind ein Stück der Beute”, verkündete Rektor Pressel 1880 stolz im Schulbericht, denn ‘Kriegsentschädigungen’ aus Bismarcks Krieg 1870/71 sollen den Bau des Karlsgymnasiums ermöglicht haben.234
oben: Bismarck schulmeistert das Parlament, zeitgenössische Karikatur von 1870 362
Bernhard Müller, Haushistoriker des Gymnasiums an der Bismarckstraße, nahm Bismarck in einem Vortrag noch als Friedenspolitiker komplexer Bündnisse und ehrlichen Makler in Schutz. 354
Unten: Bismarck teilt das koloniale Afrika auf (Berliner Konferenz 1884), gründet dabei das deutsche Kolonialreich und seinen fragwürdigen Ruf als ‘ehrlicher Makler’.
Karikatur der franz. Zeitschrift L’Illustration 1884
‘Friedenspolitiker’ Bismarck führte Krieg gegen Dänemark, Österreich, Frankreich und mehrere deutsche Kleinstaaten.
Unten: in der englischen Karikatur setzt ‘Schoolmaster’ Bismarck durch, dass Österreich in Bosnien-Herzegowina einmarschieren kann. Englische Karikatur zum Berliner Kongreß von 1878.
Karikatur von John Tenniel im ‘Punch’
unten: die neue Vorkriegszeit beginnt schon unter Bismarck, macht die bismarcktreue Presse mit dieser Karikatur von 1887 selbstbewusst deutlich.
Karikatur 1887 von Wilhelm Scholz im bismarcktreuen Kladderadatsch, Foto jp
Das Bismarck-Heldendenkmal als Symbol des preußischen Militarismus war nach dem Krieg nicht mehr zeitgemäß an der ursprünglichen, zentralen Aufstellung in Heilbronn und wurde 1995 in die Nähe des Gymnasiums an der Bismarckstraße entsorgt, wo sich niemand daran störte.251 Heute ist die Rückseite des Bismarckdenkmals immer noch übersät mit Einschusslöchern und Spuren der Bombensplitter aus dem Zweiten Weltkrieg, als alles um das Standbild herum in Schutt und Asche fiel, nur die Vorderseite wirkt aufgehübscht.
Foto jp
Würdigung von Antisemiten neben der Schule
1995 wurde das ganze Areal neben dem Gymnasium der Dynastie Bismarck gewidmet, den Kindern und Erben Otto von Bismarcks, wie das Schild am neuen ‘Bismarckpark’ zeigt. Sohn Herbert von Bismarck war ein ausgesprochener Antisemit (noch viel stärker als sein Vater), der Kaiser Wilhelm II. in dieser Hinsicht stark beeinflusste.471
Foto jp
Wie unpassend jedoch der Bismarck-Kult hier ist, macht die weitere Geschichte des Ortes deutlich. Bismarck ist hier so aufgestellt, dass er direkt auf die Stelle des ehemaligen ‘Judenhauses‘ im III. Reich starrt, deren zahlreiche frühere Bewohner vertrieben und ermordet wurden. Den vielen Verfolgten, die zwangsweise hier lebten, wird bis heute an diesem Ort nicht gedacht.
Bismarckstraße 3a – ein Ort der Verfolgung
Hier in der Bismarckstraße 3a befand sich ursprünglich ein Haus der jüdischen Gemeinde, in der die Rabbiner lebten. Hier wohnte auch 1922-1929 der Rabbinersohn Ezra BenGershom. Im III. Reich wurde sein Elternhaus schließlich ein ‚Judenhaus‘, in das die Nazis Zwangseinweisungen von Juden vor den Deportationen vornahmen. 439 Besonders schlimm wütete man hier in der Reichskristallnacht. Franke berichtet hier von einer unbeschreiblichen, sinnlosen Verwüstung in der Bismarckstraße 3a. Der Mitbegründer der Heilbronner Volksbank, Otto Igersheimer, musste hier zeitweise leben und zu seiner Erniedrigung die Deportation der anderen jüdischen Gemeindemitglieder überwachen, bis er selbst nach Auschwitz kam und ermordet wurde.438
Unten die ermittelte Liste der Verfolgten, die mit der Bismarckstraße 3a verbunden sind439.
Deportiert und ermordet in Auschwitz
Otto Igersheimer
Bertha Sternfeld geb. Igersheimer
Emil Obenheimer
Lina Obenheimer
Deportiert und ermordet in Riga
Rebekka Simsohn
Hedwig Wallerstein
Rosalie Wallerstein
Ziel der Deportation unbekannt
Sophie Kauffmann
deportiert nach Schloß Eschenau, Haigerloch, später vermutlich deportiert nach Theresienstadt, weitere Todesumstände und Ort unbekannt
Sofie Sara Reis
Deportiert nach Izbica, Durchgangstation zu den Vernichtungslagern, in denen die Deportierten zu Tode kamen
Simon Schlesinger
Ida Sara Schlesinger
Salomon Vollweiler
Clara SaraVollweiler
Regine Krips (Stolperstein)
deportiert nach Dellmensingen
Hermann Grünbaum
1934 ausgewandert nach Palästina
Abraham Feuerlicht
Esther Horowitz
Löser Horrowitz
Max Horrowitz
Heinrich Horrowitz
Hermann-Josef Horrowitz
Rahel Horrowitz
Rosa Horrowitz
Selma Horrowitz
1939 nach England ausgewandert
Flora Reis geb. Aron (Stolperstein)
Nur zwei wurden mit einem Stolperstein gewürdigt, denn Stolpersteine gibt es nur am letzten freiwilligen Wohnort, was bei einer Zwangseinweisung in ein “Judenhaus” der NS-Zeit nicht der Fall war.
Otto von Bismarck sprach sich 1847 dagegen aus, dass Juden öffentliche Ämter bekleiden dürfen. In der Rede führte er aus: „Ich gestehe ein, dass ich voller Vorurteile stecke, ich habe sie … mit der Muttermilch eingesogen … Ich teile die Empfindung (dass Juden nicht Beamte werden dürfen) mit der Masse der niederen Schichten des Volkes und schäme mich dieser Gesellschaft nicht.“ 1869 gab er dem Antrag der Demokraten zur Aufhebung der Diskriminierung im preußischen Landtag nach, doch Bismarcks persönliche Einstellung zu jüdischen Mitbürgern blieb stark belastet.436
“Otto von Bismarck war weniger lautstark in seinem Antisemitismus als sein Sohn, neigte aber dazu, jede Eigenschaft, die er bedauerte, mit jüdisch gleichzusetzen oder sich Juden als Opfer seiner (…) Schimpfkanonaden auszusuchen”, berichtet der Sammelband “Juden im Wilheminischen Reich” von 1976.
Die Republikaner jubelten
Die Republikaner im Gemeinderat waren begeistert, als der Heilbronner Gemeinderat 1995 einstimmig mit den Republikanern entschied, dass Bismarck an seinen neuen Platz in Schulnähe umzieht. Es machte Schlagzeilen, als die extreme Rechte im Gemeinderat ein Loblied auf Bismarck anstimmte471 – den anderen Parteien war es dann doch peinlich – doch sie hatten es sich selbst eingebrockt. Stadt und Investoren wollten es so, das Denkmalamt wählte Bismarcks Aufstellung ganz bewusst mit dieser Blickrichtung des Eisernen Kanzlers auf einen Ort mit historischem Bezug: national und sozial soll die Botschaft sein. Auch die Lokalpresse erhob den Eisernen Kanzler nochmals zur „Galionsfigur“ in der Schlagzeile zur Einweihung474, Bismarck als Reichsgründer blickt stolz auf das arisierte Grundstück, auf dem jetzt das Sozialamt stand. „Auf Rat des Denkmalamtes, das den Standort festlegte, wird damit auch Bezug zur verdienstvollen Sozialpolitik“ Bismarcks geschaffen 474 – vergessen Arisierung, Verfolgung, Judenhaus an dieser Stelle. Ausgerechnet das Denkmalamt kannte nicht die Geschichte des Ortes? Kaum denkbar.
Das Bismarckdenkmal ist hier deplatziert, am historisch falschen Ort.
Oben: Der Papst spricht Bismarck die Karolineninseln zu. Auf dem Körper des Ureinwohners steht „Ohne Nutzen“. Karikatur im Kladderadatsch, 1885
Quellen: siehe Abschnitt zum Bismarckdenkmal im Kapitel „Mut zur Erinnerung“ sowie
472 „Posthume Gnade für Bismarck“, von Kilian Krauth, 12.9.1994, Heilbronner Stimme
473 „REP-Wirbel wegen Bismarckdenkmal“ von Joachim Friedl, 17.3.1995
474 „Der Kanzler als Galionsfigur – die Statue des Namensgebers sollte Bismarckplatz Identität geben“ von Uwe Werner, Heilbronner Stimme, 4.9.1995